*Weihnachtszeit – nun ist es bald soweit… Frohe Weihnacht, Frohe Weihnacht…* – So lautet eine Zeile aus meiner Lieblingsweihnachtsfernsehsendung: Weihnachtsmann & CoKG. Wie ich das geliebt habe! (Damals auch noch mit dem richtigen Titellied: siehe hier) Immer, wenn das lief (und es in den Schulpausen anfing, nach Mandarinen zu riechen), dann wurde es Weihnachten.
Ich liebe unsere Weihnachtstraditionen. Hand aufs Herz, das ist das, was mir am schwersten fällt: Nicht bei meiner Familie zu sein in der (Vor-)Weihnachtszeit und all diese wunderbaren Traditionen zu durchleben. Ein bisschen nostalgische Verklärung ist da vielleicht drin, wie Jan mich freundlich, aber bestimmt erinnerte… dennoch, das ist das Größte: mit Mama den Adventskranz binden, mit Papa den Tannenbaum aussuchen und fällen, das stinkige Räuchermännchen – zu Mamas Ärger – vom Dachboden ausgraben und überhaupt alles – auch zu Mamas Ärger – vom Dachboden herunterschleifen, was irgendwie nach Weihnachten aussieht oder riecht, und ein schönes Chaos verursachen.
Eine meiner liebsten Erinnerungen ist, dass wir an Heilig Abend mit der Familie weit in Feld und Wald hinausgewandert sind und nur noch das Knirschen des Schnees unter unseren Füßen zu hören war. Genauso wie in einem meiner Lieblingsgedichte:
Weihnachten (Joseph Freiherr von Eichendorff)
Markt und Strassen steh’n verlassen
still erleuchtet jedes Haus
sinnend geh ich durch die Gassen
alles sieht so festlich aus.
An den Fenstern haben Frauen
buntes Spielzeug fromm geschmückt
tausend Kindlein steh’n und schauen
sind so wunderstill beglückt.
Und ich wandre aus den Mauern
bis hinaus ins freie Feld
hehres Glänzen, heil’ges Schauen
wie so weit und still die Welt!
Sterne hoch die Kreise schlingen
aus des Schnee’s Einsamkeit
steigt’s wie wunderbares Singen
Oh Du gnadenreiche Zeit!
Weit weg von den bunten, schrillen, reizüberflutenden Städten und Straßen, wo – ich kann es nicht anders sagen – der Markt unter einem neuen Vorwand um unser Portemonnaie konkurriert (und zugegebenermaßen ist er dabei durchaus erfolgreich: ich liebe den Weihnachtsmarkt in Lübeck und auf einem der alten Güter in Schleswig-Holstein, wo wir als Familie – wieder so eine Tradition – ‘immer’ hingehen und wo ich für gebrannte Mandeln, Mutzen, Heiße Schokolade mit Amaretto oder auch mal einen Glühwein gerne den ein oder anderen Taler über den Tresen rollen lasse; mal ganz abgesehen davon, dass ich gerne – da könnt ihr Jan fragen – bereits im November den Budgetpott für Geschenke sprenge und an allen anderen Ecken spare, um noch was darüber schieben zu können).
Doch dieses “wunderstille Beglücktsein” lasse ich dann gerne hinter mir. Weit hinaus – “ins freie Feld”, in die “Einsamkeit”. Denn auch wenn Geschenke den Überfluss meines Herzens ausdrücken und mich die Zeit mit Familie und Freunden im Herzen besonders anrührt, ist es dort, in der Natur, wo ich Gott als Schöpfer besonders nahe bin, wo er mein Herz auf eine besondere Weise anrührt, wie nur er es kann – atemberaubend, ehrfurchtgebietend. Deshalb habe ich in dem Gedicht auch unbewusst immer einen Fehler eingebaut: nicht “heil’ges Schauen”, sondern “heil’ges Schauern”, habe ich gesagt: Wer kann so viel Schönheit und Vielfalt mit so viel Kreativität und Genialität schaffen? Wer hat so viel Liebe fürs Detail? Wer denkt sich so verschwenderisch schöne Gerüche und Formen und Farben aus und appelliert in so vielen Formen an all unsere Sinne?
Draußen, in der Einsamkeit der Natur, werde ich ganz still und andächtig und merke, wie Lob und Anerkennung und ‘Preis’ in mir aufsteigen: Das ist mein Gott! Er meint es wirklich gut! – Das ist eine sehr besondere Form der Gottesbegegnung für mich.
Und während ich in der Kälte und der Dunkelheit stehe, wird mir bewusst, dass wir tatsächlich in einer “gnadenreichen Zeit” leben. Nicht nur Weihnachten ist damit gemeint, aber das erste Weihnachten war der Beginn dieser Gnadenzeit und jedes weitere Weihnachten ist eine Erinnerung daran.
In der Nacht, im Dunkel, in der Finsternis dieser Welt – und damit ist, wie gesagt, nicht die Jahreszeit gemeint (denn heute glaubt wohl kaum einer mehr, dass Jesus wirklich im Dezember geboren wurde) – in der Dunkelheit strahlt ein Licht auf, in der Kälte bricht sich Hoffnung Bahn.
Immanuel. Gott mit uns.
Im finsteren Tal, im Tal des Todes – in Depression, Leid, Hoffnungslosigkeit, Ausweglosigkeit, Verzweiflung, Sinnlosigkeit, in zerstörten Beziehungen und gebrochenen Herzen und der Angst vor dem Morgen – strahlt ein Licht auf.
Das Licht der Welt.
Weihnachten – die ‘geweihte Nacht’, die heilige Nacht – ist besonders, weil sie uns Gott, den Allmächtigen, Schöpfer von Himmel und Erde, den König der Könige, nicht in strahlender und überfordernder Pracht und Majestät mit Unterwerfungswillen präsentiert, sondern in der Verletzlichkeit und Abhängigkeit eines Kindes.
Gott ist ganz Mensch geworden.
Ein Licht strahlt in der Nacht auf und die Finsternis hat es nicht überwunden.
Wir sind in dieser Welt – wir sind verletzbar, wir erleben reales Leid, aber das wird nicht mit einem Anstrich von Herrlichkeit und Unterwerfung übertüncht. Nein, Gott höchstpersönlich steigt in die Schuhe eines Dieners, setzt sich der Gefahr aus, getötet, verspottet, geschlagen, missachtet und verhöhnt zu werden, ist bereit, alles Leid der Welt auf sich zu nehmen – um bei uns zu sein und unser Leben von Grund auf zu verändern: Freude, Friede, Hoffnung, einen (Aus)Weg, Sinn, Versöhnung und Heilung zu bringen. In unser Leben. In unseren Alltag. In unsere Beziehungen.
Immanuel – Gott mit uns. So wird er verheißen und so stellt er sich uns vor.
Der Gott, der so lebt, wie die Menschen (ja, Gott kannte wahrscheinlich sogar Verstopfungen, mal drüber nachgedacht?!). Der Gott, der so versucht wird, wie alle Menschen. Der Gott, der aber nicht von der Welt überwunden wird, sich nicht klein machen oder klein kriegen lässt, sondern der genau weiß, wer er ist und was er sich wünscht, der die guten Pläne für die Welt kennt, die Gott, der Vater, hat – und der deswegen freiwillig klein wird, demütig in das Leben den Menschen kommt, sich abweisen lässt, um ihren freien Willen, ihre Entscheidung zu respektieren.
Gott ist nicht ein Gott “hoch oben”, irrelevant für unseren Alltag, weltfremd – nein, er ist derjenige, der in den “normalen” Dingen des Alltags präsent ist: Immanuel – Gott mit uns in unseren tiefsten Ängsten und Zweifeln, in unserer Depression, in unserer Bitterkeit und Wut, in unserer Trauer um zerbrochene Beziehungen, in den Gesprächen von Eltern und Kindern, in der Beziehung von Geschwistern, im Kaffeeklatsch bei der Arbeit, im Krisengespräch mit dem Chef, auf dem Pausenhof in der Schule, in den tiefen Tiefen und den größten Freuden von Ehen, Freundschaften, allen Beziehungen. Gott mit uns – im Alltag, in allen Beziehungen, in jeder Stunde, bis ans Ende der Welt(zeit).
Gott ist mit uns – und er ist an uns interessiert. Gott liebt uns nicht nur, weil es irgendwie seine “gottgegebene” Pflicht ist (selbst dann wäre es kein Auftrag, sondern eine Selbstverpflichtung, eine freie Entscheidung). Nein, er mag uns tatsächlich! Er findet uns echt klasse. Und sogar witzig. Und er genießt jeden Moment mit uns – ob wir im Garten das Unkraut zupfen, den Rasenmäher reparieren, die Rosen bestaunen, die Kartoffeln ernten, das Formular BXZ3 mit all seinen Anhängen ausfüllen, am Telefon die Sorgen und Nöte der Kunden anhören, unseren Untergebenen die Befehle für den Tag erteilen, die Fahrzeugflotte putzen, einen Schüler zurechtweisen, die Milch in der Mikrowelle überkochen lassen, Fußballmeister werden oder auf dem Klo sitzen. Gott mag uns. Und er freut sich an uns und mit uns – und er leidet mit uns, geht mit uns durchs finsterstee Tal. Er ist Gott mit uns. Er hat sich dieser Beziehung verschrieben – sich am Kreuz auf sein Ja zu uns ‘festnageln’ lassen.
Immanuel, Gott mit uns, ist der treueste Wegbegleiter.
*Und wanderte ich auch im finsteren Tal, im Tal des Todes, du bist bei mir…*
Immanuel – Gott mit uns – verlässt uns nicht.
Wenn die dunkle Decke auf uns liegt und wir uns fragen, wie oft wir noch aufstehen und duschen müssen, bis der ganze Scheiß hier vorbei ist, dann ist er da und strahlt – nicht unserem Leid zum Hohn, sondern zum Trotz: Die Dunkelheit hat sein Licht nicht überwunden. Er ist unsere Hoffnung, ganz nah, ganz präsent.
Weihnachten ist die Einladung eines demütigen Gottes, der es uns leichter machen will, uns ihm zu nähern, der nahbar sein will – dem mehr als alles andere an Gemeinschaft gelegen ist. Das ist es, was ihn schmerzt: gebrochene Beziehungen; und das ist es, was er bewirkt hat: diese Beziehungen wiederherzustellen und uns vorzuleben, wie es aussieht, Gott und den Nächsten zu lieben – weil es um Beziehungen geht (nicht um Scheinheiligkeit oder die Einhaltung religiöser Regelwerke).
Gott in seiner Dreieinigkeit kann mit zwei Wörtern leicht beschrieben werden – Liebe und Beziehung.
Gott ist in sich Beziehung und Liebe – Liebe, die gar nicht anders kann und will, als sich auszudrücken, die als Ausdruck ihrer selbst die Menschen schafft, um sie zu lieben; und als die Beziehung zu den Menschen bricht, da macht Gott nicht den Menschen herunter, sondern sich selbst klein – ein wehrloses Kind, in Kuh- und Schafscheiße ohne medizinische Versorgung geboren, verstoßen von den Leuten, die keinen Platz in ihren Häusern machen wollten, auf der Fahndungsliste ganz oben, um die Freundschaft mit den Menschen neu zu beginnen, im Alltag, in den alltäglichen Beziehungen.
Er regiert mit dem Herzen eines Dieners und er dient mit dem Selbstbewusstsein eines Königs.
Er kommt als Gott, der mit uns ist, der so wie die Menschen lebt, der so wie die Menschen mit Todesangst ringt und stirbt, der jede Emotion nachspürt, die wir spüren. Ein Gott, der einen Weg bahnt – über Leid, Tod und Schmerz, Enttäuschung und Verletzung hinaus; der Hoffnung bringt, Versöhnung möglich macht – nicht in irgendwelchen unverständlichen, abstrakten, hirnverrenkenden Dimensionen, sondern hier und jetzt, im Alltag, zwischen dir und mir, ihm und ihr.
Alles, was gut und vollkommen ist, kommt vom Vater des Lichts.
Und zu Weihnachten hat er uns ein besonderes, das ultimative Geschenk gemacht: seinen Sohn, das Licht der Welt in unserer Dunkelheit. Und die Finsternis dieser Welt konnte ihn nicht aufhalten.
Immanuel. Gott mit uns.
Kennst du ihn?
Doch das sei noch erwähnt: Ist dieser Gott wirklich mit uns? Selbst wenn Jesus gelebt hat, gestorben ist, begraben wurde und auferstanden ist – so ist er doch seit seiner ‘Himmelfahrt’ nicht mehr ‘bei uns’. Warum sagt Jesus: “Ich bin bei euch bis ans Ende dieser Welt(zeit)”? Wie kann er Immanuel sein, wenn er doch gegangen ist?
Da kommt das Geheimnis von Pfingsten ins Spiel.
Aber bis das so weit ist, bleibe ich im Advent, in stiller Andacht, in stillem Wunder versunken: ein Gott, der sich nicht zu schade war, ganz tief zu sinken, um bei uns zu sein und uns herauszuheben als dem finsteren Tal. Sein Arm war nicht zu kurz. Und so, wie es in einem unserer Eheverse heißt: “Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.” – Mein Leben zeigt: Er hat es getan und er tut es noch. Und ich vertraue ihm, dass er mich auch bis ich grau werde aufhebt, trägt und rettet.
Er ist mein Licht.
Er ist mein Immauel – Gott mit mir.
Darum feiere ich Weihnachten.
(Was im Übrigen trotzdem nichts daran ändert, dass ich gerade in der Weihnachtszeit Heimweh habe… Zumal ich eine meiner Traditionen auch sehr vermissen werde: Die Christmette, bei der ich alle meine lieben Freunde, meine ‘Gemeindefamilie’ treffe; gerade an Weihnachten sind die Auswirkungen von Pfingsten zu spüren: An der Liebe der Christen untereinander ist zu erkennen, dass Jesus nicht einfach spurlos verschwunden ist. Die Gemeinschaft mit anderen Christen lässt sein Licht umso heller strahlen. Deswegen bin ich froh, dass wir hier in einer neuen Gemeinde genauso gut aufgehoben sind.)
Wir werden euch auch in der Christmette vermissen! (Jedenfalls ich…)